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Schreien macht Lippenlesen unmöglich

Kalendereintrag
Foto: Dr. Oliver Rien im Gespräch

Zum Tag der Gehörlosen (27. September): Sie sind oft hochqualifiziert, aber trotzdem arbeitslos: Menschen mit Hörschädigung stoßen im Beruf oft auf Hürden. Psychologe und Coach Dr. Oliver Rien erklärt, welche Fehler in der Kommunikation die Ursache für viele Konflikte sind und wie es besser läuft. 

Herr Dr. Rien, Studien haben ermittelt, dass Hörgeschädigte eine fast doppelt so hohe Arbeitslosenquote haben. Oft erschweren Kommunikationsprobleme die Arbeit. Aber viele denken: Wenn alle langsam sprechen, können Hörgeschädigte doch von den Lippen ablesen!

Dieser Irrtum ist sehr weit verbreitet. Geübte Lippenableser können maximal 30 Prozent verstehen, der Rest geht verloren. Zudem ist der Begriff Lippenlesen falsch, da man es ja nicht wie bei einem Buch „lesen“ kann. Der richtige Begriff ist „Mundabsehen“. Das erfordert aber ein hohes Maß an Konzentration und ist somit nicht über einen kompletten Arbeitstag leistbar.

Eine weitere Annahme: Viele Hörgeschädigte haben Hörgeräte und können sich doch verständlich ausdrücken, da ist kein Dolmetscher nötig, oder?

Ein Dolmetscher sorgt aber im Arbeitsalltag dafür, dass der Hörgeschädigte die Aussagen und Aufträge korrekt versteht. Viele Hörgeschädigte trauen sich nämlich nicht, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. So entstehen oft Missverständnisse. Deshalb kann sich diese Investition lohnen.

Und wenn ein Hörender einfach alle Infos mitschreibt?

Das sorgt schnell für Frust bei Hörenden und Hörgeschädigten. Die Hörenden empfinden es als Last, der Hörgeschädigte muss immer jemanden finden, der mitschreibt. Doch inzwischen gibt es günstige Apps, die in Kombination mit einem kleinen Mikrofon dafür sorgen, dass Gespräche automatisch transkribiert werden.

Hilft lautes Sprechen?

Nein, lautes Sprechen verzerrt das Mundbild. Somit ist eine Orientierung an den Lippen noch schwerer möglich. Des Weiteren ist die Stimme verzerrt und erschwert das Verständnis. Vor allem aber sind Hörbehinderte oft geräuschempfindlich. Die beste Lösung ist also immer deutliches Sprechen in normaler Lautstärke.

Was ist für eine gute Zusammenarbeit entscheidend?

Es bringt nichts, den Eindruck zu vermitteln, nur eine der beiden Parteien müsse sich anpassen und verändern, das sorgt langfristig für zusätzliche Konflikte. Wissen, gegenseitiges Verständnis und Offenheit helfen schon viel. Um das zu erreichen, kann eine externe Beratung sinnvoll sein. Das fängt bei der Einstellung von Mitarbeitern mit Hörschädigung an und geht bis zu Konflikten im Berufsalltag.

 

Dr. Oliver Rien gehört zu den  führenden  Experten  für Hörschädigung. Der Psychologe berät an der SRH Berufliche Rehabilitation in Heidelberg Unternehmen und Hörgeschädigte dabei, wie die Inklusion im Arbeitsalltag gelingt.  Außerdem ist er deutschlandweit als Dozent und Trainer für Kommunikation, soziale Kompetenz und Empowerment  an  Schulen  Gehörloser  und  Schwerhöriger  sowie Universitäten tätig.

Das Kompetenzzentrum Hören und Kommunikation gehört zum Heidelberger Bildungsunternehmen SRH Berufliche Rehabilitation. Seit über 20 Jahren unterstützen Experten hier Hörgeschädigte bei der beruflichen Neuorientierung. Mehr Informationen zu Seminaren und Coachings für Unternehmen bei Christine Conradi, christine.conradi@srh.de